Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) setzt für eine Rehabilitation aller Männer ein, die in der Bundesrepublik nach dem schwulenfeindlichen § 175 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilt wurden. Die BMH fordert eine schnellstmögliche Aufhebung der Urteile und eine angemessene Entschädigung aller Betroffenen.

Gemäß ihrer Stiftungsziele setzt die BMH in diesem Zusammenhang Impulse in der Forschung zur Verfolgungsgeschichte Homosexueller in Deutschland. 2013 startete ein Video-Archiv mit Zeitzeug_innen-Interviews zur Dokumentation der individuellen Erfahrungen und Erinnerungen Betroffener seit den 1950er Jahren. Das Archiv der anderen Erinnerungen liefert einen besonderen Beitrag zur Erforschung von LSBTTIQ-Lebenswelten, Einblicke in zeitgeschichtliche Umstände, Selbstentwürfe und Veränderungsprozesse sowie die Auswirkungen von Diskriminierung und strafrechtlicher Repression.

Hintergrund
Der Paragraf 175 wurde mit dem Inkrafttreten des Reichsstrafgesetzbuches 1872 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht, […] zwischen Personen männlichen Geschlechts“ unter Strafe. Im Nationalsozialismus 1935 verschärft und zur systematischen Verfolgung homosexueller Männer genutzt, behielt er auch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in beiden deutschen Staaten seine Gültigkeit. Während § 175 in der DDR bereits Ende der 1950er-Jahre nicht mehr bei Erwachsenen angewendet wurde, bestand der Straftatbestand in der Bundesrepublik in der Fassung von 1935 unverändert fort. Schätzungen gehen davon aus, dass seit Gründung der Bundesrepublik und bis zur ersten Entschärfung 1969 mehr als 50.000 Männer nach § 175 StGB verurteilt wurden. Die Konsolidierung des Strafgesetzbuches im Zuge der Wiedervereinigung führte 1994 zur ersatzlosen Streichung.

Während der Deutsche Bundestag die entsprechenden Urteile aus der Nazizeit 2002 aufhob, sind die später gefällten Urteile nach § 175 StGB weiterhin gültig.  Auch nach dem Verbüßen der eigentlichen Strafen litten viele Betroffene unter den Vorstrafen sowie den Folgen ihrer Verurteilung (Angst vor weiterer Verfolgung, gesellschaftliche Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, etc.). Gegner einer umfassenderen Rehabilitierung argumentierten, dass eine Aufhebung der unter demokratischer Herrschaft ab 1949 verkündeten Urteile nicht möglich sei, da ansonsten in die Unabhängigkeit der Justiz und damit die grundgesetzlich verankerte Gewaltenteilung eingegriffen würde. In einem im Mai 2016 vorgestellten Gutachten für die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) kommt Staatsrechtler Prof. Dr. Martin Burgi von der Ludwig-Maximilians-Universität München jedoch zu dem Schluss, dass eine Rehabilitation der späteren §175-Urteile mit dem Grundgesetz vereinbar sei und der Gesetzgeber aufgrund seiner Schutzpflicht sogar den verfassungsmäßigen Auftrag dazu hätte.

 

Jörg Litwinschuh (BMH), Zeitzeuge Heinz Schmitz, Christine Lüders (ADS) und Prof. Burgi bei der Vorstellung der Studie und des Archivs der anderen Erinnerungen in Berlin.
Jörg Litwinschuh (BMH), Zeitzeuge Heinz Schmitz, Christine Lüders (ADS) und Prof. Dr. Martin Burgi (v.l.n.r.) bei der Vorstellung des Gutachtens und des Archivs der anderen Erinnerungen (Foto: BMH).