PRESSE-INFORMATION | Berlin, 22. Juni 2017

Bundesstiftung Magnus Hirschfeld begrüßt historischen Meilenstein zur Rehabilitierung der Opfer des § 175, 175a StGB
Stiftungsprojekt „Archiv der anderen Erinnerungen“ bewahrt die Geschichte und Geschichten der Betroffenen

Heute wird der Bundestag abschließend über das „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ (StrRehaHomG) beraten: Damit ist der Weg frei für die kollektive Aufhebung von strafgerichtlichen Urteilen wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach §§ 175, 175a StGB in der Bundesrepublik und nach entsprechendem Paragrafen in der DDR. Die Debatte folgte der Befassung im Rechtsausschuss. Verurteilten steht auf Antrag eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro sowie zusätzlich 1.500 Euro „je angefangenem Jahr erlittener Freiheitsentziehung“ zu. Verurteilungen wegen homosexueller Handlungen mit Personen unter 16 Jahren werden nicht aufgehoben. Im bislang debattierten Gesetzentwurf lag die Grenze bei 14 Jahren und damit bei der Schutzaltersgrenze, die im geltenden Recht für das absolute Verbot von sexuellen Handlungen maßgeblich ist. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bedauert diese nachträgliche, von der CDU/CSU geforderte Einschränkung, die die Verurteilungen wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen mit Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren trifft.

Jörg Litwinschuh, Geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH): „Wir sind stolz, heute an einem Ziel des langen Wegs zur Rehabilitierung der Opfer des § 175 StGB angekommen zu sein. Bundesjustizminister Heiko Maas hat sich mit großem Engagement für die Rehabilitierung der Opfer eingesetzt und viele Widerstände überwinden können. Leider können viele, die durch eine Verurteilung Arbeit und Ansehen, An- und Zugehörige verloren haben, diesen Tag nicht mehr erleben. Sie sind bereits verstorben. Andere trieb der soziale Tod in den Suizid. Doch ich bin sehr froh darüber, dass endlich Gerechtigkeit geschaffen wird. Denn Gerechtigkeit kennt kein Verfallsdatum. Die Bundesstiftung wird das Thema auch weiter intensiv begleiten. Wir schätzen, dass 4.000 bis 5.000 Betroffene für eine Entschädigung im Rahmen des Rehabilitierungsgesetzes infrage kommen und helfen gerne mit, die Betroffenen zu erreichen und über ihre Rechte zu informieren. Unser Stiftungsprojekt ‚Archiv der anderen Erinnerungen’ dokumentiert seit 2013 die Schicksale und selbstbewussten Lebensgeschichten von Schwulen und Lesben anhand von Videointerviews. Wir werden auch in Zukunft Betroffene zu Wort kommen lassen und ihre Geschichte und Geschichten bewahren.“

Mehr Informationen zu unserem Interviewprojekt finden Interessierte unter http://www.archiv-der-anderen-erinnerungen.de.

Homosexuelle Handlungen von Männern waren – unter wechselnden Tatbestandsvoraussetzungen – bis 1994 strafbar. Die junge Bundesrepublik hatte die 1935 durch die Nationalsozialisten verschärften §§ 175, 175a des Strafgesetzbuchs (StGB) übernommen. Schätzungen zufolge sind zwischen 1949 und 1994 etwa 64.000 Männer nach §§ 175, 175a StGB verurteilt worden, davon allein 50.000 bis 1969. Rechtlich war die DDR bei der Behandlung von Homosexuellen deutlich liberaler: Der Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld geht von 4.300 verurteilten Männern und Frauen aus. Die Verurteilungen waren nicht nur strafrechtlich relevant. Sie zerstörten in vielen Fällen Partnerschaften, bürgerliche Existenzen und ganze Biographien. Diese Männer lebten bis heute mit dem Makel einer Verurteilung.

„Wissen schafft Akzeptanz“: Über die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) ist nach Dr. Magnus Hirschfeld (1868-1935), Arzt, Sexualreformer und Mitbegründer der ersten deutschen Homosexuellenbewegung, benannt. Sie initiiert und fördert Projekte in Forschung, Bildung und Erinnerung und wirkt mit ihrer Arbeit einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen (Abkürzung: LSBTTIQ) in Deutschland entgegen.
Die BMH wurde im Oktober 2011 durch die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz, errichtet und hat ihren Sitz in Berlin. Ergänzend zum Rehabilitierungsgesetz wurde die BMH 2017 erstmalig mit einer institutionellen Förderung aus dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in Höhe von 500.000 Euro ausgestattet. 2017 nahm die BMH ihre externe Projektförderung wieder auf. Nächste Einreichungsfrist ist der 15. Oktober 2017.
Mehr Informationen finden Interessierte unter http://www.mh-stiftung.de/foerderung/

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