Heute hat die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die ausführlichen Ergebnisse der von ihr in Auftrag gegebenen Befragungsstudie „LSBTIQ*-Communitystrukturen in der Coronapandemie“ veröffentlicht. Die bundesweite Befragung unter LSBTIQ*-Organisationen und -Initiativen ist im Rahmen des Projektes „Auswirkungen der Coronapandemie auf LSBTIQ*“ entstanden. Durchgeführt wurde die Studie von Ska Salden (Dipl.-Psych., wissenschaftliche_r Mitarbeiter_in Sigmund-Freud-Universität) und Frede Macioszek (Schwules Museum Berlin).
255 Initiativen aus allen Bundesländern haben an der Befragung teilgenommen. Diese Initiativen bieten unter anderem Gruppen- und Selbsthilfeangebote für LSBTIQ* an, beraten und begleiten LSBTIQ* zum Beispiel bei Coming-outs, Transitionen, Diskriminierungserfahrungen oder rechtlichen Fragen und führen Bildungsveranstaltungen an Schulen durch.
Das Projekt „Auswirkungen der Coronapandemie auf LSBTIQ*“ war im September 2020 mit einem öffentlichen Appell der Bundesstiftung an Staat und Gesellschaft gestartet. Im Dezember 2020 und Januar 2021 fanden verschiedene Fachgespräche zum Thema statt. Deren Ergebnisse wurden in der Broschüre „Auswirkungen der Coronapandemie“ im Februar 2021 dokumentiert. Mit den heute veröffentlichten Ergebnissen der Befragungsstudie wurde ein weiterer wichtiger Projektbaustein umgesetzt.
Wichtige Ergebnisse der Befragungsstudie im Überblick
Knapp 90 Prozent der Initiativen beschrieben die Auswirkungen der Pandemie als negativ, 18 Prozent sogar als extrem negativ. Sie konnten ihre Tätigkeiten und Angebote in der Coronapandemie nur eingeschränkt fortführen. Die Digitalisierung von Angeboten und die Entwicklung von Hygienekonzepten sorgten bei vielen Initiativen für einen stark erhöhten Arbeitsaufwand.
Schon vor der Pandemie wurden in den Initiativen viele Angebote durch ehrenamtliche Arbeit gewährleistet. In der Pandemie haben die Kapazitäten der Ehrenamtlichen bei 43 Prozent der Initiativen abgenommen, da Individuen durch die Pandemie einer erhöhten Belastung ausgesetzt waren und weniger Möglichkeiten hatten als zuvor, sich ehrenamtlich zu engagieren.
Bei knapp einem Drittel derjenigen Initiativen, die vor der Pandemie finanzielle Ressourcen hatten, hat sich die finanzielle Situation verschlechtert, 15 Prozent können die finanziellen Folgen noch nicht abschätzen.
Die befragten Initiativen nahmen bei den Nutzer_innen ihrer Angebote ebenfalls eine Verschlechterung der Gesamtsituation dar. 93 Prozent der befragten Initiativen gingen davon aus, dass sich der psychische Zustand ihrer Nutzer_innen verschlechterte, 67 Prozent davon, dass sich der körperliche Zustand verschlechterte. Die Befragten berichteten außerdem von einer wahrgenommenen Zunahme von Gewalterfahrungen ihrer Nutzer_innen sowohl im Privaten als auch im öffentlichen Raum. Die öffentlichen Gewalterfahrungen betrafen insbesondere Personen, die mehrfach diskriminiert werden. Der Bedarf an den Angeboten der Initiativen dürfte also eigentlich größer als kleiner geworden sein.
Die Initiativen berichten teilweise auch von positiven Begleiterscheinungen der Pandemie, insbesondere durch die notwendige Digitalisierung. Sie konnten digital mehr Nutzer_innen erreichen und sich besser vernetzen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass digitale Angebote auch viele LSBTIQ* ausschließen und viele Initiativen und Nutzer_innen nicht die notwendige technische Ausstattung hatten. Die Angaben der Initiativen machten deutlich, dass digitale Angebote Präsenzangebote nicht ersetzen, sondern nur ergänzen können.
Die Initiativen nannten vielfältige Forderungen und Empfehlungen an Politik und Verwaltung, um ihre Arbeit und die Situation ihrer Nutzer_innen wieder verbessern zu können. Dazu zählen insbesondere Forderungen, die Finanzierung der Initiativen langfristig sicherzustellen, Schutzräume für LSBTIQ* zu ermöglichen, die Gesundheitsversorgung und Selbstbestimmung von LSBTIQ* zu gewährleisten, Sexarbeit zu ermöglichen, sicheren Wohnraum insbesondere für obdachlose und/oder geflüchtete LSBTIQ* zur Verfügung zu stellen, niedrigschwellig Informationen zur Coronapandemie und den Maßnahmen zur Verfügung zu stellen und zu verbreiten sowie LSBTIQ* Lebensrealitäten in politische Regulierungen einzuschließen.
Hier können Sie den Forschungsbericht der Befragungsstudie downloaden. (pdf nicht barrierefrei)