Externe Projektförderung 2022/2023

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld führt für die externe Projektförderung in den Jahren 2022 und 2023 einen Förderschwerpunkt ein: „Der Wandel der Kategorie Geschlecht im 20. und 21. Jahrhundert“.

Dies bedeutet: Mindestens 50 Prozent der Gesamtfördersumme werden ausschließlich auf Projekte verwendet, die den Kriterien des Förderschwerpunkts entsprechen.

Kriterien des Förderschwerpunkts

Logo "Externe Projektförderung. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld."

Mit Mitteln aus dem Förderschwerpunkt gefördert werden sollen z. B. Projekte, die:

  • sich mit der Zwischenstufentheorie von Magnus Hirschfeld befassen oder
  • die Entwicklung der Kategorie Geschlecht und damit einhergehenden Geschlechterbildern und -stereotypen im 20. und 21. Jahrhundert aus verschiedenen disziplinären Perspektiven, etwa sozial-, kultur-, rechts- oder geschichtswissenschaftlich, erforschen oder
  • die Vielfältigkeit von Geschlecht wissenschaftlich, literarisch, künstlerisch oder performativ sichtbar machen oder
  • sich historisch und aktuell mit Normen und Vorstellungen von Geschlechterbinarität und ihren Auswirkungen auf die Lebensrealitäten von Menschen auseinandersetzen oder
  • sich mit der Konstruktion von Geschlechtern und Geschlechterstereotypen und Performances von Geschlecht in lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen, queeren und weiteren Communities beschäftigen und Reflektionsprozesse in den Communities anregen und
  • den Förderschwerpunkt möglichst aus einer intersektionalen Perspektive angehen, d. h. Mehrfachdiskriminierungen sichtbar machen.

Ziel des Förderschwerpunkts

Die Einrichtung des Förderschwerpunkts soll dazu dienen, Projekte anzuregen und zu fördern, die sich historisch und gegenwärtig mit der Entwicklung und dem Wandel der Kategorie Geschlecht im 20. und 21. Jahrhundert und damit einhergehenden Geschlechterbildern und -stereotypen beschäftigen.

Ein solcher Förderschwerpunkt knüpft an Magnus Hirschfelds zentrale Theorie der sexuellen Zwischenstufen an: Hirschfeld ging davon aus, dass die Idee von zwei grundverschiedenen, sich gegenseitig begehrenden Geschlechtern der realen Vielfalt der menschlichen Existenz nicht gerecht werde. Der Gegensatz zwischen Mann und Frau sei eine menschliche Fiktion, vielmehr seien alle Menschen Zwischenstufen zwischen diesen beiden Polen, und jeder Mensch bilde in seiner Individualität seine eigene Zwischenstufe, sein eigenes Geschlecht. Diese Ideen wurden insbesondere von den Nationalsozialisten heftig bekämpft. Angesichts heutiger Debatten um Geschlechterpolaritäten und Vielfältigkeit („Queerness“) erscheinen Hirschfelds Sichtweisen avantgardistisch und zukunftsweisend.

In den letzten Jahrzehnten und insbesondere auch in jüngster Zeit hat die Bundesrepublik Deutschland erhebliche Fortschritte in Bezug auf die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt gemacht. Dies spiegelt sich besonders deutlich in der Rechtsentwicklung. Mit der Reform des Personenstandsgesetzes (PStG) wurde 2009 zunächst die Zweigeschlechtlichkeit festgeschrieben, bereits 2013 wurde jedoch auch die Existenz intergeschlechtlich geborener Menschen rechtlich anerkannt: Neben männlich und weiblich wurde die dritte Möglichkeit offener Personenstand („kein Eintrag“) eingeführt. 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine positive Benennung für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung einzuführen sei. Am 19.12.2018 wurde der „positive“ Geschlechtseintrag „divers“ für Menschen mit „Varianten der geschlechtlichen Entwicklung“ (§45b PStG) eingeführt. Aktuell wird darum gerungen, was dieser Ausdruck rechtlich genau meint.

Trotz der rechtlichen Anerkennung der Vielfalt von Geschlecht sind die Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung aller Geschlechter noch nicht vollständig hergestellt. Das in einer Vielzahl von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen für verfassungswidrig erklärte Transsexuellengesetz (TSG) sieht in den Normen, die noch gelten, große Hürden für Personenstands- und Namensänderung vor. Noch immer sind intergeschlechtlich geborene Kinder nicht gesetzlich vor normierenden Operationen und Behandlungen geschützt. Personen, die nicht in zweigeschlechtliche Vorstellungen passen, werden auf der Straße angegriffen.

Geschlecht ist also aktuell eine hoch umstrittene Kategorie. Vorstellungen von Geschlecht ordnen und strukturieren gleichwohl die Gesellschaft und wirken sich auf die Lebensrealitäten aller Menschen massiv aus – besonders auf jene von Menschen, die den geltenden Normen und Vorstellungen von Zwei- und Cisgeschlechtlichkeit nicht entsprechen. Der emanzipatorische Diskurs um Geschlecht und geschlechtliche Vielfalt ist daher aus menschenrechtlicher Perspektive notwendiger denn je: Ziel eines solchen Diskurses muss die Gleichwürdigkeit, die Unversehrtheit, das Selbstbestimmungsrecht und die Diskriminierungsfreiheit aller Menschen jedweder Geschlechtsidentität, jedweden Geschlechtsausdrucks und jedweder geschlechtlicher Merkmale sein. Der Förderschwerpunkt „Die Kategorie Geschlecht im Wandel im 20. und 21. Jahrhundert“ soll zu dieser menschenrechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt beitragen.

Alle allgemeinen Informationen zur Stellung von Anträgen auf Projektförderung finden Sie hier.