6. Mai 2013

80. Jahrestag der Zerschlagung des Instituts für Sexualwissenschaft

Magnus Hirschfeld (* 14. Mai 1868 in Kolberg; † 14. Mai 1935 in Nizza), deutscher Arzt in Berlin, Sexualforscher und Empiriker, schwul, Sozialist, Jude, und Mitbegründer der weltweit ersten organisierten Homosexuellen-Bewegung (WhK).

Foto Magnus Hirschfeld

„Ich […] darf wohl sagen, dass, wenn den Homosexuellen in Berlin jetzt ein so einzigartiges Restaurationsleben vergönnt ist, dies vor allem unserer aufklärenden Bewegung zu verdanken ist, ohne dass wir freilich für gewisse Auswüchse, die auch hier mit der Zeit Platz gegriffen haben, verantwortlich gemacht werden möchten.“

Bescheiden war er auf jeden Fall nicht, wenn es darum ging, die Auswirkungen seiner Arbeit zu beschreiben, wie in diesem Zitat aus einem Beitrag für die Berliner Schwulenzeitschrift „Die Freundschaft“ im Jahr 1922 ersichtlich. Magnus Hirschfeld hatte die Berliner Kriminalpolizei davon überzeugen können, dass Homosexualität kein „erworbenes Laster“ sondern „unausrottbar“ sei. Daraufhin erkannten die Beamten, dass es einfacher ist, die „Urninge“ unter Kontrolle zu behalten, wenn man ihnen Freiräume lässt. Insofern hatte nicht nur er als Mediziner und anerkannter Experte in Fragen der Sexualität, sondern auch seine politischen Mitstreiter im bereits 1897 gegründeten „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“ (WhK) tatsächlich ihren Anteil an einer aufblühenden homosexuellen Subkultur, die allerdings schnell wieder durch die Stiefel der Nationalsozialisten in Grund und Boden gestampft wurde.

Würde man Hirschfeld mit den heutigen Begrifflichkeiten einordnen wollen, so könnte man sagen, dass er ein schwuler Mann war, der voll und ganz hinter dem Konzept der Diversity – der Vielfalt – stand. Und der zumindest einen kleinen Grundstein zur heutigen Queer-Theory gelegt hatte, laut der es neben dem biologischem Geschlecht Elemente gibt, die losgelöst von gesellschaftlichen Normierungen zu einer variantenreichen (sexuellen) Identität eines Menschen führen. Auch wenn sich der Mörtel für diesen Grundstein – eine rein medizinisch-biologistische Kategorisierung – als nicht lange tragbar erwies. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielten Hirschfelds Überlegungen keine große Rolle mehr in der Sexualwissenschaft.

Bis dahin wurde aber unermüdlich und mit Mitteln der Empirie an der Theorie der „sexuellen Zwischenstufen“ gebaut. Zwischen 1899 und 1923 verfassten Hirschfeld und seine Mitarbeiter dazu eine 20.000 Seiten umfassende Textsammlung. Die „Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen“ sollten zeigen: Zwischen dem „Vollmann“ und dem „Vollweib“ gibt es eine unendliche Anzahl an Abstufungen und Mischungen. Hermaphroditen, Transvestiten, Invertierte seien die naturnotwendige Verbindung zwischen den beiden Polen Mann und Frau. Der Homosexuelle stelle eine Art „drittes Geschlecht“ dar. Auch das von ihm 1919 eröffnete „Institut für Sexualwissenschaft“ sollte der Forschung einen festen Rahmen geben. Es wurde aber zugleich eine Beratungsstelle für Menschen, die Probleme mit ihrer Sexualität hatten und ein umfangreiches Archiv für sexualwissenschaftliche Literatur. Das Institut und seine Bestände sind allerdings am 6. Mai 1933 im Zuge der Bücherverbrennungen von den Nationalsozialisten vernichtet worden. Hirschfeld befand sich da bereits im Exil.

Einladung

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld lädt Sie zur großen Gedenkveranstaltung am 5. Mai ein
Gustav Peter Wöhler, Schauspieler und Sänger, liest aus Christopher Isherwoods wunderbarer Autobiographie „Christopher and His Kind". Und taz-Journalist Jan Feddersen moderiert die Podiumsdiskussion über die Auswirkungen der Zerschlagung des Instituts für Sexualwissenschaft.
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Neben dem Sexualwissenschaftler gab es auch den Sexualreformer Hirschfeld. Das WhK, am 15. Mai 1897 durch ihn und den Verleger Max Spohr, den Juristen Eduard Oberg sowie den Schriftsteller Franz Joseph von Bülow in Charlottenburg gegründet, wollte eine Entkriminalisierung der Homosexualität erreichen. Die Aktivitäten des WhK waren eng verzahnt mit Hirschfelds medizinischem Wirken und später auch mit dem Institut für Sexualwissenschaft. Wichtigstes Ziel war die Abschaffung des Paragraphen 175 RStGB, der sexuelle Handlungen unter Männern bestrafte. Ein Jahr nach Gründung wurde eine erste Petition zur Abschaffung des 175 eingereicht, allerdings erfolglos. 1922 sowie 1925 versuchte es das WhK erneut. Und tatsächlich schaffte es ein Bündnis diverser Sexualreformer durch ihre Lobbyarbeit, dass der Reichstagsausschuss 1929 empfohl, den Sonderstrafrechtsparagraphen abzuschaffen. Doch dieser Antrag schaffte es nicht mehr rechtzeitig in den Reichstag. Als die NSdAP an die Regierungsmacht kam, landete er in der Versenkung.

Mit Hirschfeld besaß das WhK nicht nur einen prominenten Lobbyisten, sondern auch einen PR-Experten. Seine unermüdliche Produktion von Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Abhandlungen, Zeitschriften und Vorträgen sorgten für eine deutliche Präsenz auch außerhalb wissenschaftlicher Zirkel. Er erkannte auch die Wirkung eines damals noch neuen und modernen Mediums. Der von Richard Oswald produzierte Stummfilm „Anders als die Andern“ aus dem Jahr 1919 entstand unter Hirschfelds Mitwirkung. Das „Sozialhygienische Filmwerk“ war das erste, das sich offen mit Homosexualität befasste. Hirschfeld spielt sich darin selbst und hält vor Gericht ein leidenschaftliches Plädoyer gegen den Paragraphen 175. Der Film löste eine heftige Debatte in Politik und Medien aus, 1920 wurde er verboten. Bei den Homosexuellen, die ihn im Kino sehen konnten, löste er ähnliche Gefühle von Befreiung aus wie 1973 Rosa von Praunheims Agit-Doku „Nicht der Homosexuelle ist pervers…“

Mit der Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nazis endete auch die Karriere von „Tante Magnesia“, wie er in der Szene liebevoll tituliert wurde. Es begann ein Exil mit Stationen in Zürich und Ascona, in Paris und Nizza. Dort verstirbt er auch 1935, genau am Tag seines 67. Geburtstages.

Daten und Fakten

14. Mai 1868
Geburt von Magnus Hirschfeld in Kolberg.
1888-1892
Studium der Medizin in Straßburg, München, Heidelberg und Berlin.
13. Februar 1892
Promotion in Berlin.
1894
Eröffnung der Arztpraxis in Magdeburg-Neustadt.
1896
Umzug nach Charlottenburg bei Berlin.
August 1896
Erscheinung von „Sappho und Sokrates“.
15. Mai 1897
Hirschfeld gründet in seiner Wohnung das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee.
1899
Erscheinung des ersten Band des „Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen“.
1908
Hirschfeld ist Herausgeber der „Zeitschrift für Sexualwissenschaft“.
21. Januar 1913
Gründung der ärztlichen Gesellschaft für „Sexualwissenschaft und Eugenik“ in Berlin.
6. Juli 1919
Eröffnung des Instituts für Sexualwissenschaft.
15.–20. 09. 1921
„Erste Internationale HU-Archivtagung für Sexualreform“ in Berlin.
1926-1930
Erscheinung der fünf Bände „Geschlechtskunde“.
1931
Hirschfeld macht eine Weltreise.
2. April 1932
Rückkehr Hirschfelds von seiner Weltreise mit Ankunft in Wien und Umzug nach Ascona, Schweiz.
6. Mai 1933
Schließung und Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft durch die Nazis.
14. Mai 1935
Magnus Hirschfeld stirbt in Nizza.

Die wichtigsten Mitarbeiter des Instituts:

Die drei Arbeitsschwerpunkte des Instituts

  1. Forschung und Ausbildung
  2. Medizinische Versorgung
  3. Beratung und Aufklärung

Aktuell

Magnus Hirschfelds "Testament. Heft 2" erschienen (Hg. Ralf Dose)

Es gehört zu den wenigen handschriftlichen Aufzeichnungen Magnus Hirschfelds, welche die Plünderung seines Instituts für Sexualwissenschaft, die Zerstörung seines Lebenswerks und sein Exil überdauert haben.