6. Mai 2013

80. Jahrestag der Zerschlagung des Instituts für Sexualwissenschaft

Ralf Dose, der Geschäftsführer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft über den Namensgeber, die Spurensuche und den kritischen Umgang mit Magnus Hirschfeld. Ein Gespräch.

Foto Ralf Dose
Foto © Andreas Pretzel

Herr Dose, Sie sind Geschäftsführer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Wann haben Sie mit ihrer Arbeit angefangen?

Das war 1982 in Vorbereitung auf „1933-1983 – 50 Jahre Machtübergabe an die Faschisten“. Damals wurde bei den Vorbereitungen klar, dass eine ganze Reihe von Opfern der Nazis gar nicht dort vorkommen würden und auch Initiativen aus dem Kulturbereich gar nicht gefragt wurden. Die Schwulen und Lesben mussten da aber schon mit rein, dachten wir. Die Kommunisten übrigens auch. Es war alles eher staatstragend geplant. Wir hatten aber das Problem, dass wir ein Datum brauchten, an dem wir nun festmachen konnten, was mit den Schwulen und Lesben nach 1933 geschah. Wir wussten vom Hirschfelds Institut und dessen Plünderung 1933. Viel mehr wussten wir aber nicht. Wir haben dann das Plünderungsdatum genommen und versucht, in dem Umfeld überhaupt erst mal Informationen zu sammeln, indem wir Vorträge organisier haben.

Ist die Anlehnung an Magnus Hirschfeld also eher zufällig entstanden?

Zufällig sicher nicht. Es gab schon ein Interesse aus der Westberliner Schwulenbewegung, sich mit dieser früheren homosexuellen Bewegung zu beschäftigen. Parallel zu unseren Aktivitäten ist ja die Gründungsgeschichte des Schwulen Museums in Berlin zu sehen. Da war also schon ein historisches Interesse. Wir haben das dann aus dem gegebenen Anlass aufgegriffen. Und wir haben dann Vorträge halten können dank der Jüdischen Volksochschule in Westberlin. Parallel zu diesen Informationsveranstaltungen haben wir uns immer um die Wiedergutmachung und Entschädigung für die Zerstörung des Instituts für Sexualwissenschaft bemüht.

Was war das genau?

Wir haben zum Beispiel die von den Nazis zerstörte Büste Hirschfelds mit Spendengeldern neu gießen lassen.

Mit welcher Absicht?

Wir wollten sie dem damaligen Kultursenator überreichen und sie ihm auf dem Schreibtisch stellen - als dauernde Mahnung. Das haben wir dann doch nicht getan.

Wo steht die Büste heute?

Als Leihgabe im Schwulen Museum.

Und ein erklärtes Ziel der Magnus Hirschfeld Gesellschaft ist die Gründung eines Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin.

Ja, aber es ist eine endlose Geschichte, warum das bisher nicht geklappt hat. Es gab mehrere Anläufe – erst an der Freien Universität Berlin, nach 1989 dann an der Humboldt-Universität.

Warum ist dieser Wunsch einer Neugründung eines Institut so wichtig?

Wir waren immer der Meinung, dass Sexualwissenschaft sozialwissenschaftlich fundiert sein sollte und nicht – wie in den Fünfzigern und Sechziger Jahren in der Bundesrepublik – überwiegend ein Spezialfach der Medizin sein sollte - soweit es das überhaupt gab. Wir waren auch der Meinung, dass Forschung nicht nur an Universitäten stattfinden sollte. Wir wollten die Mitsprache der Beteiligten fördern. Wobei diese Konstruktion eines neuen Instituts mehr meint, als nur Lesben- und Schwulenforschung oder heute Queer Studies.

Nämlich?

Das war ja schon bei Hirschfeld viel weiter gedacht. Als Person wird er immer wahrgenommen als Vorkämpfer der Schwulenbewegung, und sein Institut war dadurch wichtig vor allem für die Schwulen- und ein bisschen für die Lesbenbewegung. Wenn man genauer hinschaut, was dort gemacht wurde, dann war das Arbeitsfeld viel größer. Anfangs – nach dem Ersten Weltkrieg – haben Hirschfeld und seine Mitarbeiter zum Beispiel ganz wesentlich im Bereich Geschlechtskrankheiten gearbeitet, medizinische Versorgung angeboten Das war kein schwules Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Es wurde immer auch eugenisch ausgerichtete Eheberatung angeboten – Hirschfeld war ja wie viele Sozialisten damals der Meinung, man könnte durch vermeintlich rationale Ehe- und Familienplanung Soziales Elend verringern.

In der zweiten Hälfte war in der Beratungsarbeit das Thema Empfängnisverhütung – gedacht als Prävention unerwünschter Abtreibungen - ganz zentral. Da ist das Institut also viel mehr in der heterosexuellen Mitte der Gesellschaft. Auch die Bibliothek war überhaupt nicht ein Schwulen- und Lesbenarchiv, sondern eine umfassende sexualwissenschaftliche Sammlung.

Einladung

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld lädt Sie zur großen Gedenkveranstaltung am 5. Mai ein
Gustav Peter Wöhler, Schauspieler und Sänger, liest aus Christopher Isherwoods wunderbarer Autobiographie „Christopher and His Kind". Und taz-Journalist Jan Feddersen moderiert die Podiumsdiskussion über die Auswirkungen der Zerschlagung des Instituts für Sexualwissenschaft.
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Magnus Hirschfeld ist also ein wenig in diese schwulen Vorreiterrolle gedrängt worden?

Gedrängt worden nicht – er war ja wichtig für die Emanzipation der Homosexuellen. Aber man wird ihm und seiner Arbeit nicht gerecht, wenn man ihn nur in dieser Rolle wahrnimmt. Er hat es zu Lebzeiten beklagt, dass sein Institut und er selbst auf diesen einen Aspekt reduziert wurden . Man muss aber auch sagen, dass nach dem Ende des Faschismus sich niemand um dieses Erbe gekümmert hat. Und dann waren es in den Siebzigern und Achtziger Jahren die Schwulen und Lesben, die sich wieder an Magnus Hirschfeld erinnert haben – und das waren dann anfangs vor allem die Amerikaner, von denen wir unsere Geschichte erneut gelernt haben.

Und was macht die Magnus Hirschfeld Gesellschaft heute?

Wir sind eine ehrenamtlich arbeitende Organisation, und wir haben alle unsere Arbeitsfelder, die sich jeder nach seinen Interessenschwerpunkten aussucht. Daraus entstehen dann Vorträge, Bücher und Aufsätze. Nur als Beispiele aus der jüngeren Zeit: Rainer Herrn hat über den Wechsel des Geschlechts gearbeitet, Raimund Wolfert über den Schriftsteller Bruno Vogel und Andreas Pretzel über die Verfolgen der Homosexuellen im Faschismus und in den 1950er Jahren. Wir haben immer wieder Ausstellungen gemacht. Zentral ist nach wie vor die Spurensuche: die Recherche nach den Überresten des Instituts, seiner Sammlungen und der Bibliothek, nach den Mitarbeitern und nach der Wirkungsgeschichte.

Spannend sind auch die Parallelen zu aktuellen Diskussionen. Unsere Arbeite ist also einerseits eine historische und andererseits ist zu prüfen, was davon heute noch relevant oder aktuell ist . Manchmal haben wir auch den Eindruck, dass nicht alles heute diskutierte so wahnsinnig neu ist.

Was meinen Sie damit konkret?

Zum Beispiel die Diskussionen um die Eugenik damals und heute die Diskussion um die Gentechnik, da gab es in den Zwanziger Jahren schon eine ganz heftige ethische Auseinandersetzung. Das ist nicht so neu. Und auch die Diskussion um die Empfängnisverhütung, das Menschenrecht auf Reproduktion und auf gesunden Nachwuchs – das ist alles spätes 19., frühes 20. Jahrhundert. Auch das Konzept „queer“ findet in den Hirschfeldschen „Zwischenstufen“ seine Vorläufer.

Kommen wir zurück zur Person Hirschfeld. Sie selbst gehen ja auch sehr kritisch mit ihm und seiner Arbeit um.

Ich erinnere mich sehr gut aus unserer Anfangszeit, da gab es irritierte Reaktionen der Art: "Jetzt sind sie völlig verrückt geworden und wollen sich die Hirschfeld-Büste aufs Klavier stellen." Aber genau darum sollte es eben nicht gehen. Wir haben nun mal diese Vorfahren, die etwas geleistet haben, und das muss man anerkennen. Und leider haben die alle auch Dinge gesagt, die schon damals nicht gut waren – und heute es erst recht nicht sind. Der Respekt vor der Leistung einer Person sollte einen aber niemals daran hindern zu sehen, dass es eben auch Punkte gibt, an denen man nicht mitgeht.

Was wären das für Punkte bei Hirschfeld?

Die eugenische Verbesserung des Menschen zum Beispiel. Da ist der erzkonservative Protestant Albert Moll schon 1926 viel klarer – und das mit einer ganz konservativen Position.

Ralf Dose, geb. 1950, studierte Publizistik, Philosophie, Erziehungswissenschaften und Psychologie in Göttingen und an der FU Berlin. Seit 1972/73 ist er in der Westberliner Schwulenbewegung aktiv. 1982 gründete er die Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft 1982 mit und ist seither ehren-, zeitweilig auch hauptamtlich für die Gesellschaft bzw. die Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft tätig. Ralf Dose publiziert zur Homosexuellenbewegung, zur Geschichte der Sexualwissenschaft und der Sexualreform. Sein Buch "Magnus Hirschfeld" erschien 2005 im Verlag Hentrich & Hentrich. Im gleichen Verlag erscheint im Mai 2013 seine Edition „Magnus Hirschfeld: Testament. Heft II“.